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beraubt wurde; vom Zeus aber zum Troste dafür die Gabe der

Weissagung empfing, des geistigen Schauens.

Der Zerstreuer:

Du meinst, die Sage deute an, daß hinter dem sinnlichen Bewußt-

sein ein weiter ausgreifendes bestehe, ein übersinnliches, geistig

schauendes, welches Zeus weckte?

Der Sammler:

Eben dieses und noch mehr! Sie eröffnet, so dünkt mich, außer-

dem noch einen Blick in die rätselhafte Fruchtbarkeit des Leidens,

die einen Grundzug unseres gesamten Innenlebens bildet, einen

Grundzug, den niemand übersehen darf, der den Geist verstehen will.

Teiresias mußte, so lehrt die Sage, erst durch die bitteren Leiden

der Blindheit hindurchgehen, ehe er einen höheren Zustand, das

geistige Schauen, erlangen konnte. Ist hiermit nicht ein allgemeines

Gesetz unseres inneren Lebens ausgesprochen?

Der Zerstreuer:

Wahrhaftig, ein wunderbarer Tiefsinn der Sage! Wie hängt das

aber mit den Hintergründen unseres Geistes zusammen?

Der Sammler:

Für sich genommen, mußt du bedenken, ist das Leiden bloß

eine Schädigung, also einfach ein Verlust, ein Abbau an Leib und

Seele. Im Gesamtganzen unserer geistigen Entwicklung aber erweist

es sich im Gegenteile wunderbarerweise als der Stachel, welcher uns

zu immer größeren, höheren Anstrengungen anreizt und verborgene

Kräfte zu wecken vermag, die uns selber unbekannt waren.

Ist das nicht abermals ein Beweis geheimer Tiefen, die unter dem

Tagesbewußtsein liegen, geheimer Tiefen des Geistes, die sein Wurzel-

grund sind ? Hinter dem, was durch das Leiden geschädigt wird, steht

noch etwas, ein Hervorbringliches, Produktives, das auf die Schädigung

zu antworten, sich und das Ganze daran zu stärken, zu erhöhen vermag.

Darum: jedes neu kommende Geschlecht muß die fürchterlichen

Leiderfahrungen, die dem Menschen bestimmt sind, Kriege und

Katastrophen aller Art, immer wieder machen. Das gehört zum

Sinn der Geschichte, weil es zum Sinn des Lebens gehört.

Auch deutet der Begriff der Gezweiung auf die Möglichkeit des

stellvertretenden Leidens hin, das, weil objektiv, von wahrhaft

himmelstürmender Kraft sein kann. Doch das nur nebenbei, wir

können dabei nicht verweilen.

Fruchtbar-

keit des Lei-

dens

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