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Ö f f e n t l i c h k e i t ü b e r g e b e n w i r d , w e l c h e d i e I d e e
d e r U n s t e r b l i c h k e i t n i c h t i n F o r m e i n e r
A b h a n d -
l u n g , a u c h n i c h t i n d e r G e s t a l t e i n e s w e l t a n -
s c h a u l i c h e n B e k e n n t n i s s e s , s o n d e r n i n F o r m
e i n e s h ö c h s t g e i s t v o l l e n u n d f e s s e l n d e n G e -
s p r ä c h s n a h e z u b r i n g e n s u c h t . Auch jene Leser, welche
sich für das Thema „Unsterblichkeit“ mäßig interessiert zeigen,
werden schon auf den ersten Seiten dadurch in den Bann geschlagen,
daß hier zwei weltanschaulich auf verschiedenem Boden stehende
Freunde höchste Anstrengungen unternehmen, den Standpunkt des
anderen zu verstehen, ohne ihm das Geringste an Begründungen
und Erklärungen zu ersparen. Ein echtes geistiges Ringen macht
den Leser schon sehr bald zum Mitbeteiligten.
Dabei fragt es sich freilich, ob jene, welche sich zur Unsterblich-
keit bekennen, die Beweisgedanken Spanns annehmen, und nicht
weniger, ob jene, welche materialistischen oder skeptizistischen Ge-
dankengängen verhaftet sind, sich von Spann ebenso zum allmäh-
lichen Aufgeben ihres Widerstandes bewegen lassen, wie dies an-
scheinend beim „Zerstreuer“ der Fall war. Dabei ist zu beachten,
daß man einen gleichen Einwand auch gegenüber Platons „Phaidon“
geltend machen könnte. Und doch lesen sowohl jene, welche dem
Unsterblichkeitsgedanken verpflichtet sind, als auch jene, welche ihn
ablehnen, auch heute noch diesen Dialog mit größtem Gewinn. Der
zeitliche Abstand, die veränderten Lebensumstände vermochten das
Interesse an seinem zentralen Thema wohl abzuschwächen, aber
keineswegs aufzuheben.
Es liegt mir ferne, aus dem Vergleich zwischen dem „Gespräch
über Unsterblichkeit“ und dem „Phaidon“ allzuviel Kapital schlagen
zu wollen. Immerhin läßt sich unser Fragepunkt durch diese Rück-
blendung in etwa beleuchten. Hier wie dort ist zweifellos eine hohe
künstlerische Gestaltungskraft am Werke, nicht nur und nicht ein-
mal in erster Linie, was die sprachliche Ausdruckskraft und schöp-
ferische Mitteilungskraft betrifft, sondern vor allem in der Weise,
wie die dialektische Gedankenbewegung innerlich gegliedert und
in einem gewissen E b e n m a ß v o n Ü b e r r a s c h u n g s m o -
m e n t e n u n d F o r t f ü h r u n g s s c h r i t t e n durchgehalten
wird.
Auch noch etwas anderes kann in diesem Zusammenhang Erwäh-
nung finden. Im „Phaidon“ wird der Gedanke über das Ewige im
Menschen zum Anlaß genommen, dem Leser sozusagen nebenbei und
unbemerkt den Zugang zur Gesamtschau Platons zu eröffnen. So
hat auch Spanns „Gespräch“ die Kraft in sich, den Leser auf A u s -
s i c h t s p u n k t e zu führen, von w e l c h e n a u s s i c h P e r -
s p e k t i v e n i n d i e g e s a m t e G e i s t e s w e l t S p a n n s
a u f t u n. So kann diese in gelockertem Gesprächston gehaltene