144
Schrift zum Katalysator dafür werden, daß jene Leser, welche durch
sie erstmals mit Spanns Gedankenwelt bekannt werden, für das
Ganze seiner Ganzheitslehre Interesse bekommen und auch die an-
deren Schriften Spanns einsehen. Zum Katalysator wird die Schrift
nicht zuletzt dadurch, daß sie an nicht wenigen Stellen zu einem
höchst eindrucksvollen Zeugnis dafür wird, welch beglückende Ein-
blicke Spann in das Wesen und die Eigenart des geistigen Seins
zu vermitteln vermag. Wer sich nur einigermaßen in den Gedanken-
gang einzufühlen versucht, wird die folgenden Worte als Kostbar-
keiten vermerken: „Es ist etwas Großes um den Geist. Selig, wer
ihn ganz verstünde!
1
“ „Es ist eine Lust, der Größe des Geistes immer
wieder nachzusinnen
2
.“
Welche Funktion hat Spann seinem „Gespräch“ im Ganzen seiner
Veröffentlichungen eingeräumt? Er hat sich darüber in seiner Reli-
gionsphilosophie
3
folgendermaßen geäußert: „In der Verwandtschaft
der menschlichen Seele mit Gott liegt unmittelbar das Bewußtsein
der Unzerstörbarkeit ihres Wesenskernes beschlossen — unmittelbar!
Daher gibt es wohl nachträgliche Unsterblichkeits b e w e i s e , Be-
weise, welche aus anderen Indizien schöpfen, vor allem aus der
Analysis des menschlichen Geistes als eines nicht-naturhaften — aber
nur eine innere Erfahrung, aus welcher die Unsterblichkeitsüber-
zeugung zuerst fließt, die mystische.“ Dabei gibt Spann zum Aus-
druck „nicht-naturhaft“ die Fußnote: „So Platons Phaidon. Vgl. auch
mein ,Gespräch über Unsterblichkeit
1
.“
Dieses Zitat gibt mir zunächst Anlaß zu einer terminologischen
Bemerkung. In ihm wird nicht der allzuleicht zu Mißverständnissen
führende Ausdruck „Übernaturhaft“ gebraucht, sondern der unver-
fänglichere Ausdruck „nicht-naturhaft“. Wenn im „Gespräch“ von
„Übernatur“ geredet wird, so ist dies nicht in jenem Sinne zu ver-
stehen, in welchem die christliche Theologie diesen Ausdruck ge-
braucht. Während diese damit die Gnadenordnung in ihrem beson-
deren Rang herausstellen will, meint Spann den besonderen Vorzug
der Geistesordnung gegenüber der stofflichen Welt.
Auffallend ist für mich ferner die Tatsache, daß in diesem Zitat
Spann nicht von einem Gespräch über d i e Unsterblichkeit, sondern
von einem Gespräch über Unsterblichkeit redet. Handelt es sich
hier lediglich um eine Flüchtigkeit oder wollte Spann durch Weg-
lassung des bestimmten Artikels andeuten, daß es ihm im „Gespräch“
nunmehr nicht so sehr darauf ankomme, die vulgäre Vorstellung
der Unsterblichkeit als richtig oder doch annähernd zutreffend nach-
1
Othmar Spann: Gespräch über Unsterblichkeit, oben S. 62.
2
Othmar Spann: Gespräch über Unsterblichkeit, oben S. 71.
3
Othmar Spann: Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage,
Wien 1947, S. 78.