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grenzte Hochachtung vor den Leistungen der neuzeitlichen Natur-
wissenschaft vorgeschrieben schien, andererseits doch in höhere
Ebenen, als sie die reine Empirie erreicht, hinaufstrebt. Man könnte
sie einen kritischen Empirismus oder empirischen Kritizismus nen-
nen, wenn sich diese Worte nicht widersprechen würden. Jedenfalls
berührte sie mit dem einen Ende die Kantische Gedankenwelt, wäh-
rend das andere in den empirischen Wissenschaften wurzeln wollte.“
Es ist bedeutsam, daß Spann beide Freunde ihrem Fachstudium
nach Empiriker sein läßt, wobei er selbst wohl seine wirtschafts-
wissenschaftlichen und statistischen Lehrjahre als starke Bindung
an das äußere Leben empfand. Tatsächlich hatte er sich in seinen
Studienjahren noch wesentlich mit „kritischen“ Philosophen befaßt,
mit Richard Avenarius, Franz Brentano, Ernst Mach und den „Neu-
kantianern“. In Frankfurt packten ihn dann Wilhelm Windelband,
Heinrich Rickert, Wilhelm Dilthey und Kuno Fischer. Es begann ein
eifriges Studium der großen Philosophen von der Antike bis zu
Kant und den Vertretern des Deutschen Idealismus. Alle, auch
Schopenhauer und Nietzsche, zog er in sein Bereich, und die ruhigen
Jahre in Brünn (1907—1914) haben ihm dann die Möglichkeit gege-
ben, sich ein erstaunliches Wissen anzueignen. Auch Meister Ecke-
hart, die indischen Upanischaden und die chinesischen Meister, die
durch Wilhelms Übersetzung eben erst zugänglich geworden waren,
verarbeitete er aufs eindringlichste, wobei freilich die eigene Haltung
und wissenschaftliche Erfahrung entscheidend mitwirkte.
Es ist also klar, daß sich die ursprüngliche Fassung des „Gesprä-
ches“ weitgehend auf dieser Ebene aufbaute und Fichtes „Selbst-
setzung“ den Höhepunkt der Auseinandersetzung bildete. Diese
vollzog sich ohne jeden Einschnitt, der auch nicht nötig
war,
da der
gesamte Umfang der Handschrift kaum ein Drittel der jetzigen aus-
machte.
In großen Zügen zeigt sich der folgende Aufbau:
Aldiger (der „Zerstreuer“) eröffnete das Gespräch mit einer Dar-
stellung des naturwissenschaftlichen Weltbildes, in welchem das
sinnfreie, rein mathematische Verfahren zu ungeahnten Erfolgen
geführt hat. Nach diesem Verfahren ist das gesamte Dasein uner-
bittlichen Naturgesetzen unterworfen, einem allgemeinen Werden
und Vergehen: für Unsterblichkeit ist kein Platz. Wolfdietrich stellt
dem die Behauptung entgegen, der Mensch gehöre nicht nur der
Naturordnung an, sondern wesentlich der Geistordnung, welche Un-
sterblichkeit geradezu fordere. Der Geist stehe hoch über der Natur
und den Dingen, weil er sie zu „ d e n k e n “ vermag. Während die
Natur durch die Unermeßlichkeit der Zeiten und Räume Staunen
erregt, den Menschen als winzigen Wurm erscheinen läßt, zeige die
Geisteslehre seine höhere Würde, da er imstande ist, über die
Natur nachzudenken, ihre Gesetze zu ergründen, sie für sich zu