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geworden, neue Bezüge und Standpunkte waren gewonnen, denen

er größere Überzeugungskraft zutraute. Waren doch seit der ersten

Niederschrift fünfundzwanzig Jahre verstrichen, Jahre höchster An-

spannung und reichster Ernte: der wesentlichste Teil des philoso-

phischen Lebenswerkes war ausgearbeitet, die Ganzheitslehre in

allen ihren Folgerungen war ausgebreitet. In erstaunlicher Raschheit

waren die grundlegenden Werke einander gefolgt.

Die völlige Auflösung aller gesellschaftlichen und staatlichen

Bindungen nach dem ersten Weltkriege, die wie durch eine klaf-

fende Wunde den Blick in die Tiefen des menschlichen Daseins öff-

nete, hatte den Sinn auf die staatlichen Fragen gelenkt: 1921 er-

schien das Buch „Der wahre Staat“, in welchem Spann die durch die

Kultur bedingten Leistungsgruppen (Berufstände) als die wahren

Grundlagen staatlicher Ordnung aufzeigt. Das folgende Jahr 1922

brachte eine Neuauflage der „Gesellschaftslehre“, die auf den dop-

pelten Umfang angewachsen war. Der gesamte Inhalt war wesent-

lich geklärt und vertieft. Gleichsam als Sinnbild solcher Klärung

tauchte nun erst das Kennwort „Gezweiung“ auf, das im Gegensatze

zu „Entzweiung“ die geistige Angewiesenheit der Menschen aufein-

ander bezeichnet. Vor allem war Spann bestrebt, die universalisti-

sche Betrachtungs- und Verfahrensweise in strengster Folgerichtig-

keit durchzuführen. „Immer mehr“, so heißt es im Vorwort, „ist mir

im Laufe der Jahre die verfahrenmäßige Eigenart der Gesellschafts-

lehre deutlich geworden, die in der vollkommenen Verschiedenheit

von der Naturwissenschaft liegt. Es kann kein größeres Unheil für

die Gesellschaftswissenschaften geben als die Übernahme natur-

wissenschaftlichen Verfahrens und kausaltheoretischer Einstellung.“

Spann zieht also aus dem in dem „Gespräch über Unsterblich-

keit“ bereits leidenschaftlich vertretenen Unterschiede zwischen

Geist und Stoff die notwendigen Folgerungen für die Wissenschaft,

ja er sucht bereits eine feste Grundlage für die geisteswissenschaft-

lichen Verfahren klarzustellen. „Das Ergebnis meiner verfahren-

kundlichen Studien“, heißt es im Vorworte weiter, „hoffe ich dem-

nächst als ausgearbeitete ,Kategorienlehre' vorlegen zu können.“

Diese „Kategorienlehre“ erschien 1924 und war eine gewaltige

Überraschung. Schuf sie doch ein starkes Gerüst nicht nur für ein

geisteswissenschaftliches Verfahren, sondern für ein großartiges

philosophisches Weltbild, dessen Voraussetzung allerdings die gei-

stige (ideenmäßige) Begründung des Daseins bildet. Spann geht von

der Einsicht aus, daß alle geistige Tätigkeit, alles Denken ein „Aus-

gliedern“ der im höheren Ganzen enthaltenen Möglichkeiten sei,

wobei uns sogleich das Geheimnis der Erscheinung entgegentritt,

daß dies Ganze im Geistigen beschlossen bleibt („Das Ganze als sol-

ches hat kein Dasein, es wird in den Gliedern geboren“). Da aber

die Glieder wieder Ausgliederungsmacht besitzen, ergibt sich die