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zweiten Überarbeitung eingeführt wurde, ist es begreiflich, daß der
Urtext dort, wo er durch die Einschübe unterbrochen wurde, wieder
aufgenommen wird. Der „Zerstreuer“ betonte (Seite 95), daß der
Geist alle großen Anlagen doch nur geschwächt und gehemmt zeigt.
Nun kommt er wieder auf die Brüchigkeit des menschlichen Daseins
zurück: Schwäche, Notdurft, Elend, Verbrechen. — Der „Sammler“
entgegnet, daß große Geister die leiblichen Schwächen zu überwin-
den vermöchten, wendet aber das Problem alsbald ins Positive. Er
zeigt, daß die Verbindung von Geist und Stoff, der alle organischen
Wesen, auch die Menschen in ihrem leiblichen Sein, das Dasein ver-
danken, beiden Seinsbereichen hohe Werte vermittelt. Dem Geiste
erschließt sie den Reichtum der Natur, die Natur verklärt sie durch
die sinnhafte Ordnung des Geistes. Der Geist, dessen Selbstver-
gegenständlichung ja auch eine Konkretisierung ist, kann durch die
Begegnung mit der konkreten Stoffwelt Wesentliches gewinnen. —
Allerdings erhebt sich nun gebieterisch die Frage, wie ein inneres
Verhältnis zwischen zwei Seinsweisen bestehen könne, die einander
so völlig fremd sind, wie es die ganze bisherige Auseinandersetzung
ohne Unterlaß betonte?
Wir stehen hier an dem Punkte, wo sich in dem so ausgeglichenen
Wesen Spanns ein tiefes inneres Ringen zeigt. Auch seinen besten
Freunden schien sein Leben echt ganzheitlich zu verlaufen: eine
frühe Eingebung, die alles in sich befaßte, wurde immer vielseitiger
und reicher „ausgegliedert“. Alle „Spannung“ seines Lebens schien
nur darauf gerichtet, die ungeheure Fülle der Gesichte, die ihm
verliehen war, noch zu bewältigen. — Die Entstehungsgeschichte des
„Gespräches über Unsterblichkeit“ zeigt uns aber eine andere Span-
nung, die ihn nicht weniger bedrängt haben mag: die Spannung
zwischen Geist und Leib.
Sein überaus wacher Geist, der alles gleichsam von oben her
überblickte, kam in einer materialistischen Zeit notwendig zunächst
zur Selbstbezeugung. Die Urschrift des „Gespräches über Unsterb-
lichkeit“ ist ein leidenschaftliches Bekenntnis zur geistigen Welt,
eine fast dithyrambische Verherrlichung der „Wunder des Geistes“.
Aber Spann war nicht nur ein blendender Geist, er war auch von
der Natur mit allen hohen Gaben beschenkt. Die griechische „Ka-
lokagathia“ — der hohe Geist im schönen Körper — war ihm in
hohem Maße verliehen, und er bekannte sich auch in jedem Sinne
zu ihr. Von der Romantik, vor allem von Schelling her, ergriff ihn
früh der Gedanke der Naturbeseelung. Ein Hinweis darauf fand sich
gewiß schon in der Urschrift des „Gespräches“ (vor dem „Panthei-
stischen Zwischenspiel“, Seite 18). Aber Spann gab sich damit kei-
neswegs zufrieden. In aller Klarheit des Erkennens galt es dieses
Problem zu bewältigen.
Daß jeder Dualismus denkwidrig ist, war ihm klar: denn wie