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bunden ist, hat es dort gleichsam ein zweites Sein (Vorsein), und so-
fern es ein Glied setzt, besteht es auch in diesem. Dieses seltsame
Schweben wird uns überall dort fühlbar, wo wir an der Grenze der
sinnlichen Empfindung stehen, vor allem aber in der Gezweiung.
Die Verbundenheit über ein Höheres gibt uns das Bewußtsein, Glied
mit anderen Gliedern zu sein: „Ich bin auch der andere“ ist das
verborgene Wesen der Gezweiung
1
. — Diese Tatsache wirft ein
neues Licht auf das Erlebnis des Todes: wir verlieren zwar unser
irdisches Selbstsein, nicht aber das selbfremde, das uns durch Rück-
verbundenheit gegeben ist, das uns sonst nur in erhöhten Zuständen
bewußt wird.
Solche Erhöhung des ganzen Wesens kann aber auch das Leiden
herbeiführen. Denn Leiden reizt die schöpferischen Kräfte und weckt
Fähigkeiten, die sonst verborgen blieben. — So leitet jede redliche
Analyse des Geistes zu der Wurzel seines Wesens: Schöpfertum,
das über aller Zeit steht.
Seite 131: Es folgen nun die schon früher besprochenen Aus-
sprüche bedeutender Menschen, welche die Unsterblichkeit des Gei-
stes bezeugen. Zwar ist es Spann bewußt, daß die Logik solche
„Beweise“ nicht anerkennt. Da aber die großen Schöpfergeister dem
Grunde des Seins näher stehen, darf ihr Bekenntnis nicht überhört
werden. Der Zusammenklang so vieler Stimmen soll dem Buche
zugleich einen festlichen Abschluß geben.
Wir haben damit die Aufgabe, die wir uns stellten, gelöst: Die
wesentlichsten Abschnitte, in welchen das „Gespräch“ aufgebaut
wurde, sind dargelegt, zugleich wurde ein weiter Weg fast durch das
gesamte Schaffen Spanns verfolgt. Daß die zweite Überarbeitung, die
eben besprochen wurde, noch nicht die endgültige Gestalt schuf, wurde
bereits erwähnt. Es liegen noch vier weitere Handschriften vor: die
drei älteren enthalten weitere Randzusätze und Einschübe, die dritte
und ihre Abschrift tragen den Vermerk: „Gekürzte Ausgabe“
und verzichten tatsächlich auf manche allzuweit abführende Ergän-
zungen. Vor allem ist, wie gesagt, der „Vorbericht“ auf eine Seite
zusammengestrafft. Es ist kaum zu bezweifeln, daß diese Fassung
schließlich endgültig für den Druck bestimmt war. So liegt sie auch
dieser Ausgabe zugrunde.
Spann selbst hat nach 1945 eine Veröffentlichung des „Gesprä-
ches“ nicht mehr versucht. Die Lage war aussichtslos. Noch während
des Krieges hatte er eine „Religionsphilosophie“ geschrieben, in der
Hoffnung, dem durch den Nationalsozialismus völlig verschütteten
religiösen Empfinden eine Stütze zu bieten. Es dauerte Jahre, bis
1
Othmar Spann: Erkenne Dich selbst, Jena 1935, S. 41.