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Nur wer sich ganz einsetzt, kann auch auf geistigem Felde den Sieges-

preis erringen. Wie könnte es auch anders sein? Die großen Rätsel

des Lebens bloß auf angelernte Weise, mit sozusagen formelhafter

Gelehrsamkeit lösen zu wollen, wäre ein schwächliches Beginnen. Sie

müssen in unserem Innersten durchgeraten, durchgekämpft und durch-

gelitten werden. Das versteht sich so von selber wie das Atmen.“

Beide waren in festlicher Stimmung. Sie glühten vor Freude, ein-

ander in ihrer Wesensart als die Alten erkannt zu haben, als Men-

schen, die in der inneren Welt des Geistes lebten. Ihre Begeisterung

war kein vorübergehender Jugendrausch gewesen, sondern gab ihrem

ganzen Leben Glück und Glanz.

Ob sie auch in ihrer Geistesrichtung zusammenstimmten? Das

war die große Frage.

Doch es überwog das Glück, an die Zeiten ihrer Jugend erinnert

zu werden, an jenes bewegte Lebensalter, dem noch alles angehört.

Schnell trafen sie, bei ihrem Kommando angekommen, ihre An-

ordnungen, um von ihren Waffenbrüdern eine Vertretung im Dienste

— es waren gerade ruhige Tage in den Schützengräben — zu erwir-

ken. Bei Kriegern, die zusammen im Feuer waren, gibt es ja nur

grenzenlose Kameradschaft.

Wolf Dietrich konnte aber weder Vertretung noch Urlaub erlangen.

Er hatte eben an diesem Tage eine vorgeschobene Feldwache zu be-

fehligen und vermochte keinen Ersatzmann zu finden. So lud er denn

mit Wissen seiner Obern Aldigern zu dieser Wache ein.

Auf dem der Feindseite abgekehrten Abhange eines Hügels lager-

ten sie schließlich in einem fast geräumig zu nennenden Unterstande.

Ab und zu wurden dumpfe Donner fernerer Geschütze hörbar.

Der Mond stieg schon zeitig an einem wolkenlosen Frühlings-

himmel auf und erfüllte weithin die Täler mit magisch durchdrin-

gendem Glanze. Jupiter, der Stern des Glücks, leuchtete.

,Fast ist es“, sagte Wolf Dietrich nachdenklich, .fast ist es, als ob

uns das Gemüt der Natur, nur leicht verschleiert, offen läge. Wo ist

der kühne Jünger von Sais, der den Schleier höbe?“

Nach einer Weile fügte er hinzu: ,Wir können nach allen An-

zeichen eine stille Nacht erwarten. Außer durch die Überprüfung der

Wachen werden wir kaum gestört werden.“

,Und die unter Kriegsgefährten .. .'

, . . . als selbstverständlich im Schwange befindliche Gastfreund-

schaft“, fiel Wolf Dietrich, auf die getroffenen Zurüstungen hinwei-

send, Aldigern ins Wort, ,hat für alles, auch für Erquickung gesorgt.“

Als das Gespräch infolge einer geheimen Scheu nicht in vollen

Fluß kommen wollte, sagte Aldiger: ,Ich sehe, es ist nicht so einfach,

bei einer Rückschau auf unser geistiges Leben unsere Gedanken und

ihre geheimeren Gründe bloßzulegen. Daher laß uns jetzt nicht unsere

ganze lange Entwicklung verfolgen (das können wir hoffentlich bald

nachholen), noch weniger uns in alle möglichen Einzelfragen, wie sie

uns gerade in den Sinn kommen, verlieren; sondern laß uns einen

einzigen Gegenstand wählen. Und“, fügte er nach einem ratenden