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Blicke hinzu, ,ich fühle fast, daß unsere Gedanken der gleichen

Gravitation unterliegen, sich von demselben Punkte angezogen fin-

den . . . “

.Gewiß“, unterbrach Wolf Dietrich, .hier im Felde, wo Leben und

Tod so dicht beieinander stehen, wo das Dasein so vereinfacht ist,

daß sich jeder einerseits auf die niederste Notdurft des Lebens zu-

rückgeführt, andrerseits unmittelbar vor die höchsten Fragen nach

seinem Sinn und Wesen gestellt sieht — hier gibt es schließlich ja

doch nur Einen Punkt, um den sich alles dreht: Ist der Tod das Ende?“

Aldiger nickte.

.Darüber laß uns gründlich unsere Meinungen austauschen, alter

Freund. Und wenn sie uns für tot wegtragen sollten — oder auch

wirklich tot —, dann haben wir noch zuletzt durch gemeinsame Selbst-

erforschung unseren Geist gereinigt und sind der Wahrheit und dem

Höchsten so nahe gekommen, wie es uns nur möglich war.“

Ihre Übereinstimmung in der Wahl des Gegenstandes war herzlich.

Schnell überlegte jeder den Gang seiner Gedanken. Und so ent-

wickelte sich die Nacht hindurch im Unterstande ein Gespräch, das

mit jenem auf geschreckten Ernst geführt wurde, welchen die Lage

beider Freunde mit sich brachte, als von Kriegern, die in Stürmen

und Schlachten dem letzten Augenblicke oft genug nahe gewesen

waren.

Im ,Gespräch“ trat nun der Ansicht, aus der N a t u r o r d n u n g

betrachtet, sei Unsterblichkeit des Menschen unmöglich, die andere

entgegen, daß sie, aus der G e i s t e s o r d n u n g betrachtet, nicht nur

möglich, sondern notwendig sei.

Die Ansicht des Menschen aus der Naturordnung, die trotz lauter

Triumphe schon halb der Vergangenheit angehört, suchte sich gegen

jene aus der Geistesordnung geltend zu machen, die in die Zukunft

weist, während in unserer Gegenwart beide Auffassungen noch im

Streite miteinander liegen.

Wolf Dietrich schrieb das ,Gespräch' nachher auf Bitten Aldigers

aus dem Gedächtnisse und nach den kleinen Vormerkungen beider

nieder, um dem Freunde, der in seiner alten Gedankenrichtung nicht

länger verharren mochte, die für die Dauer des menschlichen Geistes

vorgebrachten Beweisgründe in aller Schärfe und Ausführlichkeit vor-

zulegen und ihre genaue Prüfung zu ermöglichen.

Die Handschrift war fertig und sollte an Aldiger übersandt werden.

Aber der Krieg ist an jähen Wendungen reich. Er zeigt gar leicht

den dunklen Abgrund, über dem unser Leben schwebt.

In der blutigen Schlacht, die sich bald darauf entwickelte, starben

beide den Kämpfertod, der so oder so des Menschen Los ist.

Ihr Ringen und Streben war zu Ende.

Wie oft wiederholt es sich in der langen Reihe der Geschlech-

ter? —

Das Landsturmregiment sandte die Handschrift des ,Gesprächs'

mit den andern Siebensachen Wolfdietrichs an seine junge Frau

namens Karoline. Diese, von seltenem Geiste und hochgebildet, liebte