Table of Contents Table of Contents
Previous Page  93 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 93 / 9133 Next Page
Page Background

92

Gesellschaftswissenschaft zur Seite treten soll. Die Rechtswissenschaf-

ten nehmen eine eigentümliche Zwitterstellung ein.

Das Recht liegt nach Dilthey einerseits sowohl den Funktionen

der äußeren Organisation zugrunde, als es auch andererseits selbst

eine Funktion dieser äußeren Organisation ist. Im Rechte ist Kul-

tursystem und äußere Organisation der Gesellschaft noch ungeschie-

den beisammen. „Das Recht hat weder vollständig die Eigenschaft

einer Funktion des Gesamtwillens, noch vollständig die eines Systems

der Kultur.“

1

Es muß einerseits als Zweckzusammenhang begriffen

werden, und zwar als „ein auf das Rechtsbewußtsein als eine be-

ständig wirkende psychologische Tatsache gegründeter Zweckzu-

sammenhang“

2

; andererseits enthält jeder Rechtsbegriff das Moment

der äußeren Organisation der Gesellschaft in sich. „Die beiden Tat-

sachen des Zweckzusammenhanges im Rechte und der äußeren Or-

ganisation der Gesellschaft sind korrelativ.“

3

Dilthey bezeichnet das

Verhältnis zwischen äußerer Organisation und Recht als „eine der

schwierigsten Formen kausaler Beziehung“, welches „nur in einer

erkenntnistheoretischen und logischen Grundlegung der Geistes-

wissenschaften aufgeklärt werden kann“

4

.

Gehen wir sogleich zur Kritik dieser Lehre über, die als erste be-

wußte und methodisch begründete Zerlegung der Gesellschaft in

Objektivationssysteme Bewunderung abnötigen muß, so wird es

sich vor allem um die Prüfung der Unterscheidung der zwei großen

Gruppen von Teilinhalten handeln: der Kultursysteme und der

äußeren Organisation der Gesellschaft; jene werden als „frei auf-

einander bezogenes Tun“ diese als „konstante Beziehungen“ in der

Form von Leistungen des Gesamtwillens bezeichnet. Demgemäß ist

zunächst zu untersuchen, ob die bestehenden Unterschiede zwischen

diesen beiden Phänomenen wirklich derart sind, daß sie eine solche

prinzipielle Trennung rechtfertigen

5

.

1

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. 71.

2

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft,

a. a. O., S. 80.

3

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft,

a. a. O., S. 70.

4

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft,

a. a. O., S. 69.

5

Dieselbe läuft auf eine ähnliche, wenn auch nicht gleichschroffe(und ins-

besondere e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h nicht gleichartige) Sonderstellung der

Regelung hinaus, wie sie z. B. bei S t a m m l e r u n d K i s t i a k o w s k i vor-

handen ist. Noch mehr Ähnlichkeit hat sie mit der allerdings wesentlich besser