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lich Staat und Familie, einigermaßen selbständige soziale Einzelwis-
senschaften gibt, während der Kirche und all den übrigen Verbands-
formen keine selbständigen Disziplinen entsprechen, beziehungsweise
sich dafür auch kaum solche fordern lassen. (Zum Beispiel kann die
Lehre von den Unternehmungsformen nur die Nationalökonomie
fruchtbar betreiben usw.) Im besonderen ist es hinsichtlich der Fa-
m i l i e , die Dilthey als äußere Organisation etwa mit dem Staate
gleichstellen muß, augenfällig, daß diese gesellschaftliche Erscheinung
nur als Zweckzusammenhang, als Kultursystem begriffen werden
kann. Die äußere Organisation der in Betracht kommenden freien
Wechselbeziehungen, das heißt ihre „Form“ ist ja in Ansehung ihres
„Inhaltes“ doch offenkundig ein sehr Sekundäres, da dieser „Inhalt“
nicht in den anderen Kultursystemen aufgeht, vielmehr einen selb-
ständigen Zweckzusammenhang vorstellt. Wie das Kultursystem der
Wirtschaft etwa auf dem Systeme der Vitalität (System materieller
Bedürfnisse) als einem Bestandteile der Menschennatur ruht, so of-
fenbar das System der Familie in gleicher Weise hauptsächlich auf
dem System der Sexualität. Es ist ein relativ selbständiger Bestand-
teil der menschlichen Natur, dessen Wirksamkeit hier einen selb-
ständigen Zweckzusammenhang begründet.
Zugunsten Diltheys ließe sich der Gedanke verwenden, daß bei
den S y s t e m e n d e r K u l t u r d i e Z w e c k s e t z u n g
e i n e u n m i t t e l b a r e , i n s i c h s e l b s t r u h e n d e s e i ,
während dies bei der äußeren Organisation der Kultursysteme nicht
in gleicher Weise zutreffe, sondern diese etwa wesentlich als M i t -
t e l jener primären (kultursystematischen) Zwecksetzung diene. Die
Rechtfertigung einer Sonderstellung der äußeren Organisation läge
dann darin, daß diese eben nicht unmittelbar auf einem primären,
ursprünglich-selbstgenügsamen Bestandteile der menschlichen Natur
ruht und demgemäß auch jenen primären Zweckzusammenhängen
nicht schlechthin gleichgestellt werden könne. Aber selbst das würde
nicht eigentlich eine besondere Klasse von Phänomenen, sondern nur
eine besondere Art von Kultursystemen begründen; andererseits
muß hervorgehoben werden, daß d i e s e r G e d a n k e b e -
r e i t s a u f e i n e R e v i s i o n d e s D i l t h e y s c h e n B e -
g r i f f e s d e s K u l t u r s y s t e m s g e h t . Denn er führt dar-
auf hin, daß die Begriffsbestimmung dieser als s c h l e c h t h i n
g l e i c h w e r t i g e r und einander k o o r d i n i e r t e r E r -