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sind als die Motive, die ihn zunächst davon abhalten würden
1
, dann
sind, wie die obige Erwägung zeigt, Zwangsmomente notwendig in
j e d e r Wechselbeziehung enthalten. Ebensowenig kann etwa die
„Innerlichkeit“ des Imperativs z. B. in der Sittlichkeit eine grund-
legende Verschiedenheit bedeuten. Wenn die Tatsachen der Sittlich-
keit ein Kultursystem bilden, müssen es offenbar auch die der Sitte
und Konvention und dann natürlich auch die des Rechtes
2
. „Inner-
lichkeit“ oder „Äußerlichkeit“ der Regelung sind in Rücksicht auf
ihre Funktion bei der Motivation überhaupt gänzlich unbegründete
Gegenüberstellungen. Nach Dilthey selbst wirkt das moralische Be-
wußtsein, das sich in der Gesellschaft ausbildet, als ein „Druck“ auf
den einzelnen
3
. Wodurch soll dieser „Druck“, den er zum System
der Kultur der Sittlichkeit rechnet, sich von jenem, den der Staat,
der Verband übt, unterscheiden? welche grundsätzliche Verände-
rung soll er durch seine Kodifizierung erleiden? Es liegt ein Wider-
spruch darin, daß Dilthey selbst die psychologischen Grundlagen
beider Erscheinungsgruppen für „ g l e i c h t i e f “ erklärt und
dennoch ihre g r u n d s ä t z l i c h e Trennung unternimmt. Die
Systeme der Kultur ruhen nach ihm auf einem Bestandteile der
menschlichen Natur, auf andauernden Zwecken. Die Grundlagen
der äußeren Organisation der Zweckzusammenhänge reichen nach
ihm ausdrücklich ebenso tief und liegen allgemeinst darin, daß der
Mensch ein geselliges Wesen ist. Also gleichfalls auf „Bestandteilen
der menschlichen Natur“, nämlich Gemeinschaftsbedürfnis usw.
Diese müßten also gleichfalls wie Z w e c k Zusammenhänge behan-
delt werden. Diltheys Argumentation läßt denn auch diesen Wider-
spruch leicht erkennbar hervortreten. „Die regellose Gewalt seiner
Leidenschaft so gut als sein Bedürfnis und Gefühl von Gemeinschaft
machen den Menschen, wie er ein Bestandteil in dem Gefüge dieser
Systeme [der Kultur] ist, so zu einem Gliede in der äußerlichen Or-
ganisation der Menschheit.“ Mit dem Naturzusammenhange, in
welchem der Mensch steht, den Gleichartigkeiten, die so entspringen,
1
Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, a. a. O., S. 84.
2
Es ist daher auch nicht deutlich, warum die Sittlichkeit ein bloßes Kultur-
system ist, das Recht dagegen darüber hinaus noch sonderzustellende Momente
der äußeren Organisation enthalten soll.
3
Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, a. a. O., S. 78.